Direct Listing statt IPO – Der sanftere Börsengang

Eher eine Evolution statt eine Revolution – Für an die Börse strebende Unternehmen verbreitert sich die Palette der Handlungsoptionen

Börsen-Zeitung, 13.11.2021

In den vergangenen Jahren hat das sogenannte Direct Listing als Alternative zum „klassischen“ Initial Public Offering (IPO) an Aufmerksamkeit gewonnen, nicht zuletzt durch erfolgreiche Beispiele schnell wachsender Technologieunternehmen. Das Direct Listing, ein Börsengang ohne öffentliches Angebot neuer Aktien, kann insbesondere mit Blick auf Flexibilität und Prozessgeschwindigkeit eines Börsengangs von Vorteil sein. Seit Spotify und das US-Softwareunternehmen Slack in den zurückliegenden Jahren durch Direct Listings an der New Yorker Börse für Aufsehen sorgten, ist auch hierzulande die Aufmerksamkeit für diesen Weg der Handelsaufnahme gewachsen. Zwar fehlen bisher ähnlich prominente deutsche Beispiele, dafür hat aber eine Reihe kleinerer Wachstumsunternehmen Direct Listings durchgeführt.

Mehr Flexibilität

Durch das Fehlen eines öffentlichen Angebots neuer Aktien kann mit einem Direct Listing – anders als bei einem IPO – nicht die Aufnahme frischen Eigenkapitals verbunden werden. Doch kann ein Direct Listing aus anderen Gründen durchaus Sinn ergeben: So werden die Voraussetzungen für eine spätere Kapitalaufnahme über die Börse geschaffen, die dann schneller (binnen weniger Wochen) vollzogen werden kann. Durch das Direct Listing kann ein Unternehmen mit einem kleinen und teilweise verkaufswilligen Aktionariat schnell seinen Aktionärskreis erweitern.

Die mit einem Börsengang verbundene erhöhte Handelbarkeit kann für Bestandsaktionäre eine attraktive Exit-Option sein. Hinsichtlich einer Lock-up-Periode existiert – anders als die beim IPO üblichen mindestens 180 Tage – bisher kein etablierter Marktstandard. Bestandsaktionäre können also beim Direct Listing gegebenenfalls bereits am ersten Handelstag Aktien verkaufen und damit der Aktie Liquidität zuführen. Management und leitende Angestellte unterwerfen sich dagegen regelmäßig einem Lock-up, um Vertrauen in die langfristige Unternehmensstrategie zu bilden. Anders als beim IPO gibt es beim Direct Listing mangels Angebot auch keine Verwässerung der Bestandsaktionäre.

Neben der Handelbarkeit verbessert die Börsennotierung auch die Visibilität des Unternehmens – und das nicht nur am Kapitalmarkt. Die mit der Notierung verbundene und häufig ausdrücklich begrüßte Publizität macht das Unternehmen und seine Geschäftstätigkeit transparenter, was bei allen Stakeholdern vertrauensbildend wirkt. Die Handelbarkeit trägt auch zu einer höheren Bekanntheit bei potenziellen Geschäftspartnern und neuen Mitarbeitern bei. Ein Unternehmen, das Mitarbeiter durch ein Aktienoptionsprogramm am Unternehmenserfolg beteiligt, kann die Attraktivität dieser Vergütungskomponente durch die Handelbarkeit an der Börse merklich erhöhen. Letztlich können börslich handelbare Aktien auch als Akquisitionswährung bei Übernahmen dienen.

„Mit Blick auf Flexibilität und Geschwindigkeit eines Börsengangs hat das Direct Listing Potenzial, sich dauerhaft zu etablieren. Dies gilt auch deshalb, weil das Ökosystem der Wachstumsfinanzierung in der vergangenen Dekade enormes Gewicht gewonnen hat. Aussichtsreiche Start-ups streben später und besser finanziert an die Börse.“

Auch ohne öffentliches Angebot neuer Aktien ergibt sich demnach eine breite Palette von Handlungsoptionen. Zugleich werden Managementkapazitäten, die mit der Vorbereitung der Equity Story, Roadshows, Analysten- und Investorengespräche im Rahmen eines IPO notwendig werden, beim Direct Listing nicht in dieser Intensität gebunden. Somit lässt sich auch die Zeitschiene eines Direct Listings schlanker gestalten.

Obwohl ein Direct Listing regelmäßig schneller durchführbar ist, wird eine potenzielle Kostenersparnis häufig überbetont. Zwar gibt es den bei einem IPO üblichen mehrwöchigen Bookbuilding-Prozess im Vorfeld des Listings nicht, trotzdem wird auch ein Direct Listing von einer Investmentbank begleitet. Sie unterstützt als „Listing Agent“ insbesondere bei der Aufstellung einer Equity Story und übernimmt vor Handelszulassung die Koordination und Korrespondenz mit der Börse. Die Erstellung eines Wertpapierprospekts steuern Rechtsanwälte und Wirtschaftsprüfer.

Hohe Hürde Streubesitz

Auch eine Prospekthaftungsversicherung (POSI) wird in aller Regel erforderlich werden. Der Prospekt weist mit Ausnahme der angebotsbezogenen Abschnitte keine Unterschiede zum IPO-Prospekt auf. Lässt man die angebotsbezogenen Kosten eines IPO (insbesondere die erfolgsabhängige Bankenvergütung) außer Betracht, liegen die Kosten eines Direct Listings allenfalls leicht unter denen eines Initial Public Offering. Auch hinsichtlich der kapitalmarktrechtlichen Folgepflichten (insbesondere Transparenz- und Publizitätspflichten) unterscheiden sich Direct Listing und IPO nicht, da der nationale und europäische Rechtsrahmen nicht nach der Art des Börsengangs, sondern allein nach dem gewählten Börsensegment differenziert.

Die Voraussetzungen, die Unternehmen auch vor einem Direct Listing zu erfüllen haben, sind mit denen eines IPO vergleichbar. Vor allem der geforderte Streubesitz von 25 % stellt für viele kleinere Wachstumsunternehmen, die sich häufig überwiegend im Eigentum der Gründer und Venture-Capital-Geber befinden, eine hohe Hürde dar. Häufig müssen Unternehmen vor einem Direct Listing Aktien umplatzieren oder neue, kleinere Aktionäre im Rahmen einer vorab durchgeführten Kapitalerhöhung beteiligen, damit die Streubesitzanforderungen erfüllt werden. Ausnahmen von den starren Streubesitzregelungen werden in aller Regel nur dann gewährt, wenn im Rahmen des Handels nach dem Listing sichergestellt ist, dass die nötige Free-Float-Quote erreicht wird.

Während beim IPO im Rahmen eines Bookbuildings mit ausgewählten Investoren eine Preisspanne und nachfolgend ein Ausgabepreis bestimmt wird, wird beim Direct Listing direkt ein Marktpreis gebildet. Der in der Marktkapitalisierung ausgedrückte Unternehmenswert ist somit vom ersten Handelstag an ein Abbild des Marktes und nicht nur einzelner Investoren. Zentral ist die erste Eröffnungsauktion, in der Angebot und Nachfrage zusammengeführt werden und ein Preis gebildet wird. Natürlich ist es auch beim Direct Listing sinnvoll, den Markt rechtzeitig mit Preissignalen zu versorgen, da es eine Indikation durch ausgerufene Preisspannen wie beim IPO-Bookbuilding gerade nicht gibt.

„Während beim IPO im Rahmen eines Bookbuildings mit ausgewählten Investoren eine Preisspanne und nachfolgend ein Ausgabepreis bestimmt wird, wird beim Direct Listing direkt ein Marktpreis gebildet.“

Die Preisbildung ist vor allem dann eine Herausforderung, wenn dem Unternehmen Präsenz und Brand Awareness fehlen, die Nachfrage also erst mühsam generiert werden muss und die Aktie noch nicht hinreichend liquide ist. Bei Wachstumsunternehmen, für die das Direct Listing insbesondere attraktiv ist, kann es daher starke Kursschwankungen oder mangels Gegenpartei auch unerfüllte Orders geben. Insoweit kann aber ein Designated Sponsor Kurspflege betreiben und die Ausführung aller Orders garantieren.

Das Direct Listing kann bei der Diskussion um Alternativen zum IPO interessante Optionen eröffnen. Insbesondere für Wachstumsunternehmen erscheint es attraktiv und sollte insbesondere gegen Spacs (Special Purpose Acquisition Companies) abgewogen werden. Mit Blick auf Flexibilität und Geschwindigkeit eines Börsengangs hat das Direct Listing Potenzial, sich dauerhaft zu etablieren. Dies gilt auch deshalb, weil das Ökosystem der Wachstumsfinanzierung in der vergangenen Dekade enormes Gewicht gewonnen hat. Aussichtsreiche Start-ups streben später und besser finanziert an die Börse, das öffentliche Angebot zur Finanzierung ist also nicht mehr zwingend. Interessant erscheint auch eine Dual-Track-Lösung: Dabei wird ein klassischer IPO vorbereitet, das Management behält sich allerdings von Beginn an vor, letztlich kein öffentliches Angebot durchzuführen.

Da sich das Direct Listing vom IPO maßgebend nur durch Fehlen eines öffentlichen Angebots unterscheidet, gleicht es eher einer Evolution als einer Revolution. Für an die Börse strebende Unternehmen verbreitert sich durch das Direct Listing die Palette der Handlungsoptionen.

Von Frederic Olbert, Chief Financial Officer beim Berliner Immobilien-Fintech Linus Digital Finance AG, und Christopher Danwerth, Head of Legal beim Berliner Immobilien-Fintech Linus Digital Finance AG.

Beitrag ursprünglich erschienen in der Sonderbeilage "Eigenkapital" in der Börsen-Zeitung Nr. 220 vom Samstag, den 13. November 2021.